(M)Ein Tag in der ambulanten Kinderkrankenpflege

(M)Ein Tag in der ambulanten Kinderkrankenpflege

Gesundheits- und Krankenpflegerin

-Fürstenfeldbruck-

Lena W. pflegt schwerbehinderte und kranke Kinder ambulant, in ihrer häuslichen Umgebung, und gibt ihnen damit die Zuwendung und Pflege, die sie brauchen. Ein Job, der emotionale und körperliche Stärke, Mitgefühl, Nächstenliebe und ein breites Fachwissen einfordert. Davon hat sie allerhand, wie wir an einem Samstag in Bayern selbst miterleben dürfen.

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07:30

Mit dem Dienstwagen fährt Lena W. von Fürstenfeldbruck bis Petershausen.

Dafür plant sie viel Fahrtzeit ein, falls sie im morgendlichen Münchner Berufsverkehr in einen Stau gerät.

09:00

Im Haus der kleinen Merle* angekommen, begrüßt sie die kleine Patientin und ihre Mutter, auf deren Schoß das Mädchen gerade sitzt. Die Mutter hilft ihrer 13-jährigen Tochter gerade beim Inhalieren und hält dabei ihren Kopf fest, denn den kann Merle leider nicht mehr allein halten. Lena und Merles Mutter besprechen, ob am Vortag oder in der Nacht etwas Besonderes vorgefallen ist und was die nächsten Schritte sind. Viel muss heute nicht beachtet werden, beide erscheinen schon sehr routiniert und gut eingespielt. Die Mutter verlässt den Raum und widmet sich dem Einfamilienhaus und der restlichen Familie: Ihrem Ehemann, ihren zwei weiteren Kindern, die 14 und 11 Jahre alt sind und heute noch verreisen, der hungrigen Katze und den Blumen im Garten, die gegossen werden wollen. Lena erklärt: „Ich bin heute für Merle da, auch damit die Familie ein wenig entlastet werden kann.“

09:15

Lena legt Merle ins Bett, wickelt sie und legt danach das für sie spezialangefertigte Korsett an, das ihr zu einer gesünderen Haltung verhelfen soll. Eine Dystonie, die zu Verkrampfungen führt, lässt Merles Gesicht verzerren, doch Lenas ruhige und humorvolle Worte helfen dem Mädchen, sich schnell wieder zu beruhigen und sogar wieder zu lächeln.

Nun ist es Zeit für das Frühstück – ein Erdbeerbrei, den die Mutter selbst gekocht und püriert hat. Lena holt den Brei aus der Küche und setzt Merle in den Rollstuhl am Tisch. Sie verabreicht Merle eine Tablette und beginnt dann, sie mit einem Löffel zu füttern, solange es möglich ist. Wenn sie zu müde oder zu verschleimt ist, verabreicht Lena ihr die restliche Portion per PEG, ein künstlich angelegter Zugang durch die Bauchdecke in den Magen. Dafür füllt sie den Brei in eine große Spritze, die dann an die Kanüle am Bauch angedockt wird. Ich frage mich, wie es sich anfühlt, so mit Nahrung versorgt zu werden – plötzlich füllt sich der Magen wie von allein.

Ist das schmerzhaft? Merles Gesicht sieht nicht danach aus. Sie sitzt ruhig da und wartet. Lena redet dabei mit Merle, so wie sie mit jedem anderen sprechen würde – respektvoll, gut gelaunt, offen und ehrlich. Immer wieder beendet sie ihre Sätze mit „… stimmt´s, Merle?“. Merle antwortet auf ihre Weise.

10:15

Nach dem Essen putzt Lena Merles Zähne mit einer elektrischen Zahnbürste. Das scheint sich für Merle lustig anzufühlen. Vielleicht findet sie aber auch belustigend, dabei von mir fotografiert zu werden. Jedenfalls giggert sie. Lena muss mitlachen.

10:30

Zeit für die tägliche Wäsche. Dafür hievt Lena Merle wieder zurück ins Bett und stellt sich eine Schüssel, Handtücher und Waschlappen bereit. Gerade der Zugang zur Magensonde muss täglich gereinigt und trockengehalten und ähnlich einer offenen Wunde immer wieder neu verbunden werden, um sich nicht zu entzünden. Ich verlasse den Raum, damit Merle noch ein Hauch von Privatsphäre bleibt. Soviel, wie ihr noch möglich ist.

11:00

Nun ist es Zeit, an die frische Luft zu gehen. Heute scheint die Sonne, also setzt Lena Merle in den Rollstuhl, setzt ihr eine fesche Sonnenbrille auf und schiebt sie zum eigens für sie eingebauten Fahrstuhl. Wir spazieren zu dritt durch das kleine bayerische Städtchen und ärgern uns hier und dort über ungeeignete Gehwege.

Lena lässt Merle an einer Birne riechen und kitzelt sie mit einem Zweig vom Apfelbaum, der hinunterhängt und den Rollstuhl streift. Später grummelt Merle vor sich hin, wohl weil ihr sehr warm ist, Lena zieht ihr die Strickjacke aus. Auf dem Weg zurück muss Lena Merle mit aller Kraft den Berg hochschieben Lena pustet, Merle lacht. Bei schlechtem Wetter würden sie beide heute etwas lesen, ein Hörbuch hören oder Atemgymnastik machen, je nachdem, was Merle gerade gut aufnimmt. Jeder Tag ist anders, individuell, eben so, wie es Merle gut tut.

12:30

Wieder zu Hause angekommen, ist es Zeit für das Mittagessen. Merles Mutter hat für alle etwas gekocht, für Merle wird es ein wenig aufbereitet, damit es mit der Magensonde zugeführt werden kann. Zuerst lässt Lena Merle am Brei riechen und erzählt ihr, was es heute gibt. Das Procedere gleicht dem Frühstücksessen: Zuerst füttert Lena Merle mit dem Löffel, dann mit der Magensonde, wenn Merle zu müde oder zu verschleimt ist.

13:30

Nach dem Essen legt Lena Merle ins Bett und setzt sich an den Tisch nebenan, um sich der Dokumentation zu widmen. Genauestens notiert sie den bisherigen Tagesablauf. Was hat Merle wann gegessen, was für Medikamente bekommen, was wurde unternommen, hat sie Krämpfe bekommen oder ist etwas anderes vorgefallen – alles ist relevant, vor allem für die Pflegefachkraft des nächsten Tages, denn eine persönliche Übergabe gibt es in diesem Fall nicht: Die Pflegenden tauschen sich mithilfe einer Pflegedokumentation aus. Aber auch für die Abrechnung und für die Krankenkassen ist es wichtig, alle Schritte genau zu dokumentieren.

13:45

Lena beschäftigt Merle mit einem Hörspiel – heute hören sie den bayerischen Kasperl, den Merle sehr gern mag. Im Gegensatz zu ihr kann Lena ihn langsam nicht mehr hören, gesteht sie lachend. Später legt sie Merle auf eine Bodenmatte und bewegt sie mit Massagen durch. An anderen Tagen liest sie Merle ein Buch vor oder macht mit ihr auf dem Pezziball ein wenig Atemtherapie.

15:30

Nachdem sie Merle wieder ins Bett gelegt hat, schreibt Lena die restliche Dokumentation des Tages nieder.

16:00

Lena verabschiedet sich von der lächelnden Merle und von ihren Eltern, die sich nun weiter intensiv um ihr Kind kümmern. Gleich vor der Haustür streift Lena gedanklich ihre Arbeitskleidung ab. Das kleine Ritual hilft ihr, sich emotional aus der Situation zu lösen und ihren eigenen Alltag zu beginnen. Mit dem Dienstwagen fährt sie nach Hause, wo ihr Freund schon auf sie wartet und beide das restliche Wochenende gemeinsam genießen werden.

LENA W., GESUNDHEITS- UND KINDERKRANKENPFLEGERIN AUS FÜRSTENFELDBRUCK

Lena W. ist eine standfeste, junge Frau, die positive Energie, Ruhe und Sicherheit ausstrahlt. Wichtige Faktoren, um hilfsbedürftige Kinder zu pflegen. Lena ist Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin – ein Beruf, der sowohl emotional als auch körperlich Kraft beansprucht und zu dem man sich berufen fühlen muss. Häufig arbeiten Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen auf der Frühchen- oder Kinderstation im Krankenhaus, doch dort empfand Lena die Zeit für ein jedes Kind als zu knapp, somit entschied sie sich für die ambulante Kinderkrankenpflege beim Münchner Kindl, wo sie mit viel Zeit für die Pflege im Wechsel sechs Kinder betreut.

Wie kamst du zu deinem Job?

Zunächst wollte ich etwas mit Musik machen und Waldhorn studieren, habe mich dann aber doch dagegen entschieden. Es war nicht das Richtige. Meine Mutter ist Erzieherin und meine Tante arbeitete im Blindeninstitut – so hatte ich schon frühzeitig Kontakt mit Kindern und Behinderten. Ich entschied mich für eine Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin in Würzburg und arbeitete danach in einem Krankenhaus auf einer Kinderintensivstation. Dort habe ich überhaupt erst mitbekommen, dass es die ambulante Kinderkrankenpflege gibt, denn ein paar ambulante Pfleger kamen auf Station, um ihre zukünftigen kleinen Patienten kennenzulernen. Ich wurde neugierig, recherchierte im Internet und fand schließlich seit März 2016 mit dem ambulanten Kinderkrankenpflegedienst Münchner Kindl einen Arbeitgeber, bei dem ich als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin in Vollzeit angestellt bin.

Was inspiriert dich?

Die Kinder, sie geben mir wahnsinnig viel zurück. Mich inspiriert auch zu sehen, wie die Familien ihren Alltag meistern. Davor habe ich großen Respekt. Es ist schön zu spüren, dass ich helfen kann, so gehe ich mit einem guten Gefühl nach Hause

Was ist positiv an deinem Job?

Die Kinder. Es macht viel Spaß, mit ihnen zu arbeiten und viel Zeit mit ihnen verbringen zu können. Toll an der ambulanten Kinderkrankenpflege finde ich, dass man den Tagesablauf individuell gestalten kann. Dort bin ich mein eigener Chef – natürlich je nachdem, was das Kind gerade braucht. Positiv finde ich auch die Vielfalt des Jobs: Verschiedene Kinder, mal zu Hause, mal eine Schulbegleitung, mal eine Urlaubsbegleitung. So komme ich auch viel in Kontakt mit anderen Berufsgruppen wie Pädagogen, Physiotherapeuten und ähnliches. Die flexible Arbeitszeit und die vielen Weiterbildungsmöglichkeiten finde ich auch super.

Und was negativ?

Bei der Münchner Verkehrslage nervt manchmal die Fahrerei. Es ist wahrscheinlich auch nicht für jeden etwas, dass man allein im Dienst ist, dafür muss man der Typ sein.

Würdest du den Job weiterempfehlen?

Ja, definitiv. Da brauche ich nicht lange zu überlegen. In der ambulanten Kinderkrankenpflege auf jeden Fall. Wie bereits angedeutet, hat man so viele Möglichkeiten, den Tag mit den Kindern zu gestalten und im Gegensatz zum Klinikalltag deutlich mehr Zeit für die teils sehr aufwändige Intensivpflege. Die kleinen Patienten, die zum Teil beatmet sind, sollen trotz ihres Handicaps einen normalen Alltag erleben. Dafür sind wir da. Wir begleiten sie in die Schule, machen Ausflüge mit ihnen, z.B. in den Tierpark, in den Biergarten, ins Schwimmbad, aufs Oktoberfest oder verbringen mit ihnen einfach einen gemütlichen Tag zu Hause. Durch das Bezugspflegesystem in der ambulanten Kinderkrankenpflege lernt man außerdem, sich richtig zu organisieren, ein Team zu führen und Verantwortung zu übernehmen. Auch ist Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Hierfür bietet mein Arbeitgeber z.B. die Möglichkeit, an Kommunikationsseminaren teilzunehmen. Für mich persönlich ist es ein Job mit sehr vielen beruflichen aber auch persönlichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten.

Was sind deine drei wichtigsten Worktools?

Mein Rundumblick, meine Ruhe und die vielen Gerätschaften. Dazu zählen Spritzen, Orthesen, Rollstühle und ähnliches.

Was rätst du Neueinsteigern?

Ihr müsst euch dessen bewusst sein, dass ihr mitten in einer Familie zu Hause arbeitet. Dort bekommt ihr von Festen bis zum Streit alles mit. Auch muss euch bewusst sein, dass ihr im Dienst allein seid und somit sehr viel Verantwortung tragt. Das Thema Sterben und Tod gehört neben all den schönen Erlebnissen mit den Kindern und ihren Familien ebenfalls dazu, dafür müsst ihr euch reif fühlen. Im Münchner Kindl, wo ich arbeite, erfährt man viel Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte, sei es durch Gespräche mit der Pflegedienstleitung oder durch professionelle Supervisionen. Dadurch wächst man mit seinen Aufgaben, entwickelt sich weiter und lernt viel über sich selbst.

Wie schätzt du die Zukunft deines Berufsfeldes ein?

Kranke Kinder, die auf Hilfe angewiesen sind, wird es immer geben. Wie die Pflege organisiert und bezahlt wird, kann sich allerdings immer ändern. Derzeit soll zum Beispiel die Ausbildung zur Krankenpflege zusammengelegt werden: Die Kinderkrankenpflege, die Krankenpflege und die Altenpflege sollen zwei Jahre lang zusammen lernen und wer sich auf Kinder spezialisieren will, macht das separat in einem dritten Jahr. Das finde ich nicht gut, da es wirklich zu viel Wissen ist, als dass es in einem Jahr gelehrt werden könnte.

Was möchtest du noch erreichen?

Ich möchte erfolgreich mein Fernstudium zur verantwortlichen Pflegefachkraft am Medizinischen Bildungszentrum Hamburg abschließen, dass ich derzeit berufsbegleitend online mache. Im Mai 2019 steht die Prüfung an. Eine Atemtherapeutenausbildung würde mich auch noch interessieren.

Welchen Ausgleich gönnst du dir?

Ich genieße meinen Alltag mit meinem Freund, Freunden und mit meiner Familie.

Quelle: https://www.workinprocess.de/portrait/11404-lena-wolz-kinderkankenpflege/

Autorin und Fotografie: Katrin Haase

* der Name des Kindes wurde aus Gründen der Privatsphäre von der Redaktion geändert

STECKBRIEF

  • Alter: 26
  • Wohnort: Fürstenfeldbruck
  • Beruf: Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin
  • Branche: Pflege
  • Anzahl an Arbeitstagen: 5
  • Arbeitsstunden pro Tag: 7
  • Status: angestellt

ADRESSE

Münchner Kindl
Franz-Schrank-Str. 2
80638 München
Telefon: +49 (0) 89 / 139 28 39 0

Email: info@mobile-ambulante-pflegepartner.de