
Das besondere Kind – wunderbar und einzigartig
Paul ist besonders. Das findet Nele auch. Und er hat es besonders gut. Jeden Tag wird er mit einem großen Auto zur Schule gefahren. Er muss keine langen Strecken laufen und wenn er müde ist, darf er sich einfach ausruhen. Und Paul ist nie allein. Immer ist jemand da, der sich um ihn kümmert. Das hätte Nele auch gern.
Paul ist anders als die anderen Kinder. Er ärgert die anderen nicht, lächelt wenn Nele mit ihm spricht und lacht sie nicht aus, wenn sie in der Schule mal wieder etwas falsch gemacht hat. Manchmal würde sich Nele wünschen, dass Paul mit ihr spricht. Dass das wohl nie passieren wird, weiß sie. Die Lehrerin hat es ihnen allen erklärt. Aber wenn sie ihm Witze erzählt, hört er genau zu und drückt ihre Hand ganz fest. Dann weiß Nele, dass Paul ihr Witz gefällt.
Paul war ein Wunschkind, die Schwangerschaft verlief unauffällig und die Freude auf den Nachwuchs riesig. Stunden nach der Geburt dann der Schock – mit Paul stimmt etwas nicht. Zahlreiche Untersuchungen brachten das Ergebnis – ein genetischer Defekt. Die geistige und körperliche Entwicklung ist minimal. Im Verlauf der Krankheit nimmt sie weiter ab, eine verkürzte Lebenserwartung. Paul kann weder sprechen, noch laufen oder stehen. Er ist geistig und körperlich behindert.
Der Alltag der Familie ist nicht immer einfach, denn Paul benötigt in allen Lebenslagen die Unterstützung seiner Eltern. Doch auch, wenn das Familienleben stark von dem anderer abweicht, wollten Pauls Eltern nie einen Sonderstatus für ihr Kind. Deshalb besuchte Paul von Anfang an einen integrativen Kindergarten. Berührungsängste? Ein Fremdwort. Eher Rangeleien, welches Kind Paul heute durch den Garten schieben dürfe.
Heute besucht Paul die integrative Grundschule in seinem Wohnort. Wie die anderen Kinder, nimmt er am Unterricht teil, stets begleitet durch eine Pflegefachkraft eines ambulanten Kinderintensivpflegedienstes. Für den Fall der Fälle, wenn eine lebensbedrohliche Krise droht.
Eine sonderpädagogische Fachkraft führt mit Paul spezielle, auf ihn ausgerichtete Übungen durch, die mittels optischer, taktiler und akustischer Reize seine Sinne ansprechen sollen. Stehen schulische Aktivitäten an, ist Paul zumeist dabei. Physio- und Ergotherapie sind fest in Pauls Stundenplan integriert. Benötigt er einmal Zeit zum Erholen, steht ein separates Zimmer speziell für Paul zur Verfügung. Seine Pflegefachkraft – stets an seiner Seite. Und seine Mitschüler? Für sie gehört Paul dazu. Wenngleich sie manchmal neidisch sind, speziell wenn Paul sich einfach ausruhen darf oder die blöden Matheaufgaben nicht machen muss.
Im Unterricht haben sie mit der Lehrerin über Pauls Erkrankung gesprochen. Auch über den Tod. Und so nehmen seine Mitschüler Paul so, wie er ist. Wunderbar und einzigartig.
Der Traum von Inklusion
Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Egal wie er aussieht, welche Sprache er spricht, ob er behindert ist oder nicht. Jeder Mensch hat das Recht selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – am Arbeitsplatz, in der Schule, beim Wohnen oder in der Freizeit. Das ist Inklusion.
Kinder kommen unvoreingenommen auf die Welt. Ihre Sozialisation bildet die Basis für Stereotypen und Vorurteile, prägt im Laufe ihres Lebens ihre Definition von dem was „normal“ ist.
Der Fall von Paul ist ein Idealfall von Inklusion. Ein ideales Zusammenspiel aus Eltern, die ihr besonderes Kind annehmen können wie es ist, der stetigen Begleitung durch den Pflegedienst, der Pädagogen, die das Zusammenleben und Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern fördern und einer gewissen Unvoreingenommenheit der Kinder.
Ein Fall der zeigt, dass Inklusion möglich ist und dass es sich für alle Beteiligten lohnt, am Traum von Inklusion weiter festzuhalten.
Autorin
Christin Nimmrichter, Dipl. Pflegewirtin (FH) und Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin, ist seit 17 Jahren bei der Mobilen Ambulanten Pflegepartner GmbH & Co. KG tätig. Als Prokuristin mit den Schwerpunkten Qualitätsmanagement | Personalentwicklung | Marketing | IT | Datenschutz strebt sie durch Vernetzung von grauer Theorie und bunter Pflegepraxis, nach besten Bedingungen für Patient*innen und Mitarbeiter*innen in der ambulanten Kinderkrankenpflege
