Interview Familie Charlotte G.
Familie G.
Tochter Charlotte, schwerstbehindert nach Sauerstoffmangel
Anja B.-G., Landschaftsarchitektin, und ihr Mann, der im IT-Bereich arbeitet, leben mit ihren drei Kindern, dem achtjährigen Bruno, der sechsjährigen Charlotte und der vierjährigen Mia im Norden von München. Als Charlotte vor vier Jahren ins Krankenhaus musste, veränderte sich ihr Leben von einem Tag auf den anderen.
Herzstillstand in der Klinik
„Charlotte war ein gesundes Kind, bis sie zweieinviertel Jahre alt war. Da hat sie sich mit Windpocken angesteckt. Sie musste in die Klinik. Dort hat sie einen Herzstillstand und durch den Sauerstoffmangel eine schwere Hirnschädigung erlitten. Seitdem ist sie sehr schwer behindert. Beatmet werden muss sie nicht, aber ihre Lunge ist durch den Varizellen-Virus geschädigt, und wir müssen viel mit der Atmung arbeiten, viel turnen, klopfen, abvibrieren, inhalieren – das ist fast ein Vollzeitjob.“
Die Folgen der Hirnschädigung
„Charlotte kann nicht sitzen, kann nicht gehen, kann nicht allein auf’s Klo, kann nicht essen, muss sondiert werden, bekommt sehr viele Medikamente. Sie muss permanent überwacht werden. Man kann sie nicht einfach hinlegen und allein lassen, denn sie hat oft Anfälle – Spastik vor allem – die sehr schmerzhaft ist und ihr einfach einschießt.
Positive Einbindung des ambulanten Pflegedienstes
„Als wir in der Reha-Klinik waren, wurden wir an das Münchner Kindl vermittelt. Das ist sehr positiv für uns gelaufen, von der Einbindung her auch für die anderen Kinder. Wir haben jetzt 60 Stunden in der Woche, überwiegend Nachtdienste und am Wochenende Tagdienste. Ein Problem ist der Fachkräftemangel, dafür kann das Kindl nichts, so dass die Besetzung der Dienste manchmal schwierig wird.“
Fachliche und menschliche Qualifikation des Kindl-Personals
„Fachlich sind Alle, die beim Kindl arbeiten, wirklich versiert. Viele sind auch ganz toll im Physiotherapie-Bereich oder der Beschäftigungstherapie. Etliche begleiten ja generell Kinder in Einrichtungen, und da bemerkt man ihr breites Know-How, um so ein Kind den Tag über zu betreuen. Ganz viele sind mir über diese schweren Jahre ans Herz gewachsen. Wir sind sehr zufrieden mit den Krankenschwestern, und auch das Büro organisiert das sehr gut.
Tagesbetreuung außer Haus
„Tagsüber geht die Lotti unter Betreuung einer Kindl-Mitarbeiterin zu den Helfenden Händen. Der Verein ist aus einer Elterninitiative der Siebziger Jahre entstanden. Damals gab es keine Kindergärten oder Schulen für mehrfach behinderte Kinder. Heute ist das eine sehr große Einrichtung. Lotti hat dort alle Therapien, die sie braucht, Physio-, Ergo-, Logo-, Musiktherapie, aber auch Spielen, Spaß, Lernen, was sie halt lernen kann, und einfach auch in einer Kindergruppe sein. Das ist ganz toll für sie.“
Kampf mit den Kassen
„Was sehr schwierig ist: Man muss um alles kämpfen. Manchmal komme ich mir kafkaesk vor. Es ist sehr schwer und für Menschen, die in so eine Situation geraten sind, sehr ungerecht. Ich frage mich, warum die Kassen ausgerechnet solchen Familien das Leben schwer macht. Es ist ganz viel Bürokratie zu erledigen, bei der ich ausflippen könnte, die ist schwachsinnig ohne Ende. Auch diese Besuche des Medizinischen Dienstes. Natürlich verstehe ich, dass es irgendwelche Kontroll-Mechanismen geben muss, aber es ist sehr unwürdig und sehr angstbesetzt.“
Bruno, acht Jahre, Bruder von Charlotte
„Das war schlimm, als die Krankheit Lotti so aufgefressen hat. Von dem Pflegedienst bekomme ich eigentlich nicht viel mit. Entweder bin ich weg oder ich schlafe. Aber wenn sie Lotti vorlesen, können Mia – meine Schwester – und ich auch zuhören.“